Donnerstag, 11. September 2008

"Holzklasse"

Stellt Euch einen Eisenbahnwaggon fuer Personen mit folgender Sitzanordnung vor: links eine Sitzreihe aus 2er-Sitzen, rechts eine aus 3er-Sitzen. Diese Sitze dann immer so gegenueber (wie man das aus frueheren Reichsbahn-Zuegen vielleicht noch kennt). Stellt Euch dann noch vor, dass diese Sitze in etwa den Komfort und die Weichheit bieten, wie sie in deutschen Regional-Express-Zuegen anzufinden ist. Wenn Eure Phantasie dann noch in der Lage ist, in diesen Waggon so viele Menschen sich hineinzudenken, wie Sitzplaetze vorhanden sind (plus noch 5-10 Leute mehr) -- dann wisst ihr immer noch nichts.
Maximal habt Ihr eine sehr vage Vorstellung davon, was es heisst, von Peking nach Chengdu in der Preisklasse "Hart Seat" (das ist die niedrigste) zu fahren. Es kommen ja noch ein paar "Details" dazu:

  • Die ganze Fahrt dauert 26 Stunden

  • Es gibt zwar Ablageflaechen fuer das Gepaeck, die sind allerdings entschieden zu klein. Jeder Reisende hat schliesslich mindestens einen mittelgrossen Koffer dabei ... und unsere Rucksaecke waren auch nicht klein. Sie wurden zum beispiel einfach unter die Sitzreihen geschoben (nicht unter unsere eigenen). Andere hatten so grosse Koffer dabei, dass sie einfach so im Gang oder in dem Bereich zwischen den Waggons herumstanden.

  • Die Sitzreihen sind so eng, dass man nur dann sein Bein ausstrecken kann, wenn man im Gang sitzt.

  • Beim Schlafen haben die Leute verschiedenste Techniken angewendet. Die ohne Sitzplatz zum Beispiel haben sich auf Zeitungen einfach in den Gang zwischen den Waggons gelegt. Es gab in unserem Waggon auch ein Ehepaar, da hat der Mann auf den 2 Sitzplaetzen geschlafen, die Frau darunter


Nun, wir mussten dieses Ticket nehmen; es gab keine anderen mehr. Fuer mehr Komfort haetten wir einen Bummelzug nehmen muessen, der fuer die Strecke 3,5 Tage braucht. Die Leute in den Hostels (im Leo Hostel in Peking und in dem Hostel hier in Chengdu halten uns aber fuer verrueckt).
Allerdings hat die chinesische Bahn gegenueber der Deutschen Bahn dennoch ein paar erhebliche Pluspunkte:

  1. Die chinesische Bahn ist bezahlbar. Fuer die gesamte Strecke (knapp 1.500 Kilometer Luftlinie) haben wir umgerechnet ca. 26 Euro pro Fahrkarte bezahlt. Und da waren auch noch 3 Euro Provision dabei, die wir uns haetten sparen koennen, wenn wir chinesisch sprechen wuerden.

  2. Es gibt mehrere TFT-Monitore in jedem Waggon, die nicht nur Werbung fuer die chinesische Bahn zeigen, sondern auch richtiges Fernsehprogramm. Dieses war sogar einigermassen abwechslungsreich: So ne Art "MTV China" mit Videos der "Chinese Backstreet Boys Copy" (keine Ahnung, wie diese Boy-Band hiess), irgendner Art "Soap", ich kann mich auch an eine Komoedie erinnern (allerdings nur in chinesisch, vom Text hab ich also nix verstanden), zum Schluss kam dann sogar noch ein Film mit englischen Untertiteln (der allerdings totaler Muell war -- irgend so ein Fantasy-Kung-Fu-Schwachsinn ... hab ihn trotz dieser Untertitel nicht wirklich kapiert).

  3. Es gibt kostenloses heisses Wasser fuer Tee und Instant-Nudeln.

  4. Alle paar Minuten kommt jemand vorbei, der entweder kleine Snacks (irgendwelche Suppen) oder auch komplette Essensgerichte verkauft. Andere Angestellte kommen vorbei und verkaufen andere Getraenke. Wieder andere sammeln den Muell ein und fegen den Fussboden.

  5. Zwischen den Waggons gibt es einen Bereich, in dem man rauchen kann. Bloss gut ... ich glaube, ich waere sonst irgendwann durchgedreht ...

  6. Ordnung muss sein. Um 22:00 Uhr kam tatsaechlich ein Bahnangestellter durch den Waggon und hat an jedem Fenster die Gardine zugezogen. Anscheinend muss der Zug nachts von aussen eine gewisse "sozialistische Einheitlichkeit" vorweisen ... gut, das ist nicht wirklich ein Pluspunkt ... aber direkt negativ war das nun auch wieder nicht.


Die Zugfahrt selbst war zwar anstrengend, aber nicht so schlimm, wie ich befuerchtet hatte. Ich hatte mich ja auch ordentlich "vorbereitet" und mir eine 500ml-Flasche Reiswein (55 % Alkoholgehalt) und eine 2,5l-Flasche Cola gekauft. Ist auch bis auf die letzten 100 ml leer geworden.
Was in meinen Augen anstrengender war, war die eigentliche Fahrt zum Flughafen. Mit vollgepackter Kraxe, die wahrscheinlich fast halb so schwer war wie ich, ging es dann die 10 Minuten Fussweg zur Bushaltestelle (wir mussten zum Bahnhof Peking West, ein ganzes Stueck ausserhalb). Dort angekommen mussten wir auch nicht allzu lange warten, bis der "richtige" kam. Allerdings war der so uebermaessig voll, dass wir keine Chance hatten, da einzusteigen. Also haben wir uns fuer ein Taxi entschieden. Aber angesichts unserer Rucksaecke war kein einziger Taxifahrer bereit, Geld mit uns zu verdienen. Also wieder zurueck zur Haltestelle. Unterwegs den ersten kleinen Wutausbruch bekommen, wo mir neben dem ganzen Geschleppe auch noch so ein typischer "Strassenhandelschinese" seinen Schrott andrehen wollte: Nein! Ich will Deine beschissene Fake-Rolex nicht kaufen!!!. Hat aber gewirkt ... dann ist mir keiner dieser Typen mehr auf den Geist gegangen.
Der naechste Bus fuhr zwar eine andere Linie, hatte aber das gleiche Ziel ... und er war nicht ganz so voll. Also wieder rein in den Bus und ab zum Bahnhof. Dort angekommen, gleich das naechste Problem: Wo muessen wir den nun hinein zu unserem Zug? Also erst mal in die "Entrance-Hall" hinein, dazu den Rucksack absetzen, weil ja wieder etwas "gefuehlte Sicherheit" gespielt werden musste ... und nach dem Durchleuchten wieder aufsetzen. War natuerlich die falsche Halle ... naemlich nur die, wo man Tickets kaufen konnte. Also wieder raus und in die Wartehalle. Dort das alte Spiel: Rucksack absetzen, Security-Check, wieder aufsetzen ... dann kamen wir aber noch nicht zum Bahnsteig sondern in die Wartehalle. Dort also wieder den Rucksack abgesetzt und gewartet, bis wir auf den Bahnsteig durften. Hier war uebrigens der Zeitpunkt gekommen, an dem ich mich zum ersten Mal im Urlaub gefragt hab: Warum hab ich eigentlich keinen Pauschalurlaub mit 5-Sterne-All-Inclusive gebucht?
Aber nachdem ich mich mit Hilfe des chinesischen "Sozialismus" gestaerkt hatte (in dem ich mir nen BigMac, ne Pommes und ne Cola bei McDoof am Pekinger Bahnhof geholt habe), dann endlich in den Zug gestiegen bin und die ganzen Leute gesehen habe, kam mir auch die Antwort auf die Frage in den Sinn: Weil ich so etwas sonst nie erlebt haette ... und jetzt, wo ich diesen Blogeintrag hier schreibe, kann ich nur sagen: Alles in allem war es dennoch irgendwo genial ...

1 Kommentar:

Rhodos hat gesagt…

Hallo Haibaer,

ich wollte als Gesandter Deiner WG mal vermerken: Wir lesen mit und sind stolz, dass Du noch lebst. Haben uns sehr über Deine Karte gefreut. Gruß Rhodos